purelesung
  Geschichten zur kalten Jahreszeit
 
2007-2009 bin ich zusammen mit der Harfenistin Nina Sennewald als "Wort&Klang" aufgetreten (www.lesungmitharfe.de). Hier können Sie in dem Programm  "Geschichten zur kalten Jahreszeit" schnuppern:

In Småland gibt es keine Wölfe

„Seid ihr wahnsinnig geworden?“, schrie uns Arne an.
Die Motorsäge hatte alles andere übertönt, das Krachen der gespaltenen Holzstücke, das Summen von Marlene neben mir, während wir die Scheite in den Handkarren stapelten, die knackenden Äste unter Arnes Schritten, so dass er völlig überraschend  in unserer Mitte aufgetaucht war.
Ratlos blickten wir uns an, und auf einmal wirkte Arnes sonst so niedlicher Akzent gar nicht lustig, betont durch die Lautstärke seiner Stimme und die weit aufgerissenen Augen. Er meinte es ernst.

Wir froren in der Stellung ein, in der wir gerade standen, eine Sekunde, zwei ... , bis Julius endlich auf die Idee kam, die Motorsäge abzustellen.
„Wir haben den Baum nicht gefällt“, stammelte er. „Wir verarbeiten den Sturmschaden.“ Damit zeigte er auf den vor ihm liegenden Stamm, dessen Wurzeln fast zwei Meter in die Höhe ragten.“
„Ich weiß“, nickte Arne, „darum geht es nicht. Es ist Elchjagd, und ihr seid ohne Westen hier.“ Wie auf ein Kommando starrten wir alle auf seine leuchtende Brust.
„Wir sind doch kaum über die Wiese hinaus“, setzte Julius an, doch Arne fiel ihm ins Wort: „Mann, sie schießen jetzt auf alles, was sich bewegt.“
Wir könnten erschossen werden, fuhr es mir durch den Kopf. Ein mulmiges Gefühl machte sich breit, eine Mischung aus Angst und Abenteuer.
...
veröffentlicht in "Wolfszauber", Website-Verlag
ISBN: 3-940445-07-X
Okt. 2007


Zeitenwechsel

Vielleicht war es ja doch eine gute Idee, sich telefonisch zu einem späten Frühstück zu verabreden. Der Tisch ist schon gedeckt; die Zeitschriften und Briefe, die ihn sonst bevölkern, zu ordentlichen Stapeln an den Rand gehäuft. Honig, Quark, Tassen, Teller und sogar Eierbecher stehen bereit. Auch ich gebe mir Mühe, habe die Haare frisch gewaschen und den Pullover an, den Friedhelm mir geschenkt hat. Kleine Zeichen guten Willens, Friedenszeichen.

Der Geruch von frisch gemahlenem und gekochtem Kaffee macht mich immer zuversichtlich. Ein Blick über den Tisch, ob ich noch was helfen soll. Alles da, sogar das Salz. Ich setze mich und schenke mir eine halbe Tasse ein. Friedhelm hat meine Brötchen in einen Korb gefüllt und schneidet sich eins auf. Als ich mir auch eins nehmen will, fällt mein Blick auf die Wand hinter ihm.

Der Fleck entpuppt sich als ein längliches Insekt mit aufgestellten Flügeln.
...

Veröffentlicht in
"Unser Jahr zieht vorbei"
Verlag: Richmond
ISBN: 976-3-940305-41-1



Ausgebrannt
„...“ Pause.
Ich fühle, dass sie eine Frage gestellt hat, habe aber keine Ahnung, was sie will. Noch nicht mal grob kann ich das Thema einschätzen. Ihr Wortschwall plätschert über mich hinweg. Am Anfang habe ich an den passenden Stellen noch „hms“ und „ahas“ von mir gegeben, bevor ich ganz weggedriftet bin. Wenn ich nicht bald etwas sage, wird sie misstrauisch.

„Entschuldige, sagst du das noch einmal?“
Dieses blöde Klischee: Ein Mann – ein Wort. Eine Frau – ein Wörterbuch. Dabei weiß ich doch, dass wir in verschiedenen Lebensbereichen sind. Ich muss ständig mit Leuten reden, mein Handwerk ist zuzuhören, und sie vermisst nach dem Examen ihre Kommilitonen und interessanten Gespräche. Mich stören schon die anderen Passanten um uns herum. Am Wochenende will ich nur meine Ruhe, sie aber den Austausch mit mir.

Ich dreh’ mich kurz um und sehe, wie viel wir schon hinter uns gelassen haben. Eben noch sind wir aus dem Auto gestiegen, vorbeigegangen an den etwa dreißig Gänsen, die neugierig und fordernd uns wie allen Besuchern schon auf dem Parkplatz entgegenkamen, in der Hoffnung auf mitgebrachte Körner oder altes Brot. Jennifer hat mich angestupst, aufmerksam gemacht auf die unbekümmerten Vögel, die dreist auf der Straße zwischen Parkplatz und See wandelten und den Autofahrern bei der An- und Abfahrt eine Zwangspause bescherten.

Schon wieder nicht zugehört. „Bitte, was?“, frage ich sie wieder.
...

Veröffentlicht in
"Winter. Das perfekte Lesebuch für kalte Tage."
Verlag: Lerato
ISBN: 978-3-938882-89-4


Welten-Parallele

Er kam zufällig vorbei, wenn es so etwas wie Zufälle gibt. Auf jeden Fall war es das erste Mal seit langer, langer Zeit, dass Manfred nach Schuldenfurt zurückkehrte, dem Dorf, in dem er aufgewachsen war und das er als junger Kerl verlassen hatte. Der nächste Zufall: ein Feiertag. Allerheiligen, der Vorabend zu Allerseelen, an denen die Katholiken ihrer Toten gedenken. Wie das Dorf hatte er damals auch die Kirche verlassen mit ihren engen Vorschriften und dem ständigen Druck auf sein Gewissen, der alle Lebensfreude aus ihm auszupressen schien und er sich, noch bevor er erwachsen war,  immer mehr verwelkt, verschrumpelt und vermodernd gefühlt hatte.

Er hasste auch den Friedhof, auf dem wohlmanikürte Frauen ihre Hündchen spazieren führten oder beim Pflanzen und Unkraut jäten sich lauthals von einem Grab zum anderen unterhielten, ohne das, was unter ihnen lag, zu bedenken. Nur Allerheiligen mit seinen stillen Lichtern und der feierlichen Ruhe zwischen den Gräbern hatte ihm gefallen, hatte ihn tief berührt mit einer Intensität, die für ihn unverständlich war. Schließlich war er Wissenschaftler und würde sich nach seinem Tod verbrennen lassen oder seinen Körper der Forschung zur Verfügung stellen.
...


In dieser Nacht

Pechschwarz
Floss der  Strom
Und daneben
Schimmerte hell der Schnee

In dieser Nacht

Stand ich
Auf der Brücke
Und betrachtete
Alles, was da war

Natur
Sog ich ein
Und sie erfüllte
Mich mit ihrem kalten Atem

Sie gab mir neue Kraft
Auch diesen Winter zu überstehen


 
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