purelesung
  Ins Leben Sterben
 
"Ins Leben Sterben" ist eine neue Lesung zum Thema Tod und Trauer genauso wie zu Lust und Leben. Hier können Sie schnuppern:

Auch eine Liebeserklärung
...

Nach einer Pause fuhr Bella leise fort: „Hoffentlich wird sie meinen Tod besser überwinden.“

„Ihren Tod? Was meinen Sie damit?“
„Ich hab’ das doch schon mehrmals angedeutet. Ich glaube, dass ich nicht mehr lange leben werde, keine fünf Jahre mehr ... Ich habe das Gefühl. Mein Onkel hat das bestimmt auch geahnt. Manche Menschen sehen voraus, dass sie bald sterben.“
„Aber Bella! Sie sind doch noch vor kurzem gründlich untersucht worden, sowohl bei mir in der Praxis, als auch bei dem Kollegen Sonnemann. Bis auf die Kreislaufschwäche ist doch nichts festgestellt worden, und an niedrigem Blutdruck ist noch niemand gestorben.“
„Man kann doch etwas übersehen haben. Oder ich kann auch bei einem Unfall ...“
„Sicher, aber die Möglichkeit gibt es für jeden. Der Statistik nach ...“
„Die meisten Menschen denken, warum soll gerade ich zu den paar Prozent gehören, die früh sterben? Aber ich frage mich, wieso gerade ich nicht?“
...

Veröffentlicht in
"Stärker als der Tod"
Rheinische Druck-und Verlagsgesellschaft
2009


Engelsbotschaft

Landschaften flogen am Busfenster vorbei, Bäume und Wiesen, weiße Flachbauten und kleine Ziegelhäuschen traten kurz aus dem Nebel hervor, um sogleich wieder von ihm verschluckt zu werden.
„Hoffentlich wird da oben das Wetter besser“, murmelte Katharina leise und fragte sich wieder einmal, ob die Reise eine gute Idee war. „Weihnacht auf der Insel“. Auf jeden Fall war es gut gemeint gewesen von ihren Söhnen, als die beiden sie mit der Anmeldung überrascht hatten. „Damit du nicht so einsam bist“, hatte David ihr gemailt. Sie betrachtete die silbergrauen und strahlendweißen Schöpfe, die über die Lehnen der anderen Sitze ragten und strich sich dezent über ihren schwarzgefärbten Pagenkopf. Welche Leute fuhren im Winter schon zur See? Sie fühlte sich einsamer als zuvor.

Katharina stellte sich ihre Söhne vor: David bei seinem Auslandsstipendium in Amerika, Marten mit seiner Freundin im Schweizer Skiurlaub. Wirklich erwachsen, nicht  wie damals, beim ersten Mal auf der Insel. Da waren sie drei und fünf Jahre alt gewesen, im Kindergarten, und sie selbst gerade Witwe geworden. Ihr ganzes Leben war nur Wochen vorher explodiert und sie, um ihre Liebe und Hoffnung betrogen, hatte jede Faser dafür aufwenden müssen, weiter zu existieren und ihre Kinder durchzubringen. Wie ein Wunder war ihr da die Mutter-Kind-Kur im „Haus am Meer“ erschienen: sich an einen freundlich gedeckten Tisch zu setzen, ohne planen, einkaufen, kochen zu müssen, gemeinsam mit ihren Kindern und anderen Menschen zu essen und nachher noch mit Erwachsenen sprechen zu können ...



Gefallener Engel

Herr, Herr, hilf. Bin in Pein.

Langsam stapft Adam vorwärts, die knochige Hand um den Knauf des Stocks geschlungen.  Die Einkaufspassage ist belebt, Menschen eilen an ihm vorbei, laut, ungeduldig, feindselig. Oder kommt ihm das nur so vor? Sie haben einen anderen Rhythmus, und er kann nicht mithalten. Er fühlt sich zur Seite gedrängt, kommt aus dem Tritt und schreitet durch die nächste Tür in einen Laden.

Auch hier keine Leere. Menschen zwischen den Regalen, Bretter voller Weihnachtsmänner und Kerzen, Kugeln und Sternen. Bunt, glänzend, glitzernd. Blendend. Und Engel überall. Dicke, pausbäckige Kinder mit Flügeln und einem verzerrten Gesicht.  Soll das ein Lächeln sein? Sie gaffen ihn an. Adam dreht sich um und flüchtet, wieder hinaus in die Straße. Schleppend schlurft er weiter, an den Hauswänden entlang um die nächste Ecke, in die ruhige Seitenstraße hinein.

Herr, Herr, hörst du mich?

...

Alles ist gut

Es war ein seltsames Gefühl von Leichtigkeit, das sich allmählich in mir ausbreitete. Der bohrende Schmerz, an den ich mich schon fast gewöhnt hatte, weil ich ihn schon so lange, so stetig ertragen musste, war auch verschwunden, und ich begann zu steigen, schwebte durch den Raum mit seinen tickenden und piependen Maschinen, schwerelos, mühelos, ohne eigenen Antrieb.
„Bin ich tot?“, fragte ich, und eine Stimme, unbekannt woher, antwortete:
„Nein, du bist nicht tot“.

Ich verband kein Gefühl mit der Erkenntnis, keine Angst, keine Erleichterung, höchstens eine Art von Erstaunen, weil ich diesen Zustand nicht begreifen konnte. Doch auch dies berührte mich nicht wirklich. Ich fühlte mich seltsam gedämpft, wie früher schon einmal mit bestimmten Medikamenten, und dazu dieses unwirkliche Schweben, durch Türen, Wände, an Menschen vorbei, von diesen unbemerkt.

Ich bewegte mich nicht mit Anstrengung, ahnte, dass es einem Ziel zuging, doch ich wurde mehr dorthin gezogen, als dass ich aktiv etwas tat. Und plötzlich war ich in diesem grauen Zimmer, spürte die Geschwindigkeit wie in einem Aufzug, und Bilder erfüllten den ganzen Raum, wechselten sich ab wie Blitze, so dass ich nichts erkennen, nichts begreifen konnte. Eine Weile sah ich nur das Flackern, dann wurde alles langsamer, ruhiger, und wie nach überstandenen Stromschnellen trug mich jetzt eine sanftere Strömung mit sich, bis auch diese verebbte, und ich, trockenen Fußes, auf einem kleinen Teppich stand, in einem Zimmerchen mit rosa Wänden und schwerem Weihrauch in der Luft. Eine Gestalt saß vor mir, mit gekreuzten Beinen und vielen Schleiern, einen Goldreif im Haar. Nur langsam schien sie sich aus einer Starre zu lösen, dort anzukommen, und schließlich fasste sie den Schleier, der ihr Gesicht verdeckte, und zog ihn langsam über ihren Kopf hinweg. Ich blickte in ihr Gesicht, das mir so wohlbekannt und doch so fremd, so weit entfernt erschien in ihrem Ernst.
...

Veröffentlicht in
"Der Engel, der auf meinen Schultern saß"
Verlag: Richmond
ISBN: 978-3-9811260-5-1
Feb. 2007



Re-Inkarnation
„Sie möchten gern buchen?“, begrüßt sie mich mit flötender Stimme.
„ Ja, gern“, antworte ich schnell.
„Haben Sie schon genaue Vorstellungen?“
„Nein, ich überlege noch ...“
„Wenn Sie noch eine längere Bedenkzeit benötigen ...“
„Nein, nein“, unterbreche ich sie. „Ich bin sicher, dass ich will. Nur wie genau weiß ich noch nicht.“

„Etwas Kürzeres vielleicht? Da habe ich gerade etwas Besonderes hereingekriegt.“ Sie lächelt verführerisch. „Kleines Dorf in der Türkei. Erdbebenopfer im Jugendalter. Geschlecht ist noch frei wählbar ...
„Ach, nicht etwas so Schwieriges“, rutscht es mir hinaus.
„Nun, wir haben ja auch einen Bildungsauftrag“, sagt sie etwas pikiert. „Oder sind Sie an einem sorglosen Leben im Luxus interessiert?“
„Oh nein“, wehre ich ab, „da fühlt man sich immer so nutzlos. Und die ganze Zeitverschwendung!“
...


 
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